Vor hundert Jahren: Das Paulus-Haus ist britisches Governorate

Im St. Paulus-Hospiz, das der Deutsche Verein vom Heiligen Lande Anfang des Jahrhunderts für katholische Pilger aus Deutschland erbaut hatte, kreuzten sich vor hundert Jahren die Wege einiger bemerkenswerter Personen und es war Ort wichtiger Entscheidungen für die Geschichte Jerusalems, die noch heute das Aussehen der Stadt prägen.

Das Paulus-Haus diente seit 1918 als Dienstsitz (Governorate) von Ronald Storrs (1881-1955), dem britischen Militärgouverneur von Jerusalem, seit Juli 1920 dessen Zivilgouverneur. Ein Augenzeuge dieser Jahre im Paulus-Haus war der Jerusalemer Christ Wasif Jawhariyyeh (1897-1972). Seine Memoiren gehören zu den wichtigsten palästinensischen Quellen für die erste Hälfte des 20. Jh., auszugsweise veröffentlicht in englischer Übersetzung unter dem Titel „The Storyteller of Jerusalem“ (2013). 1919 fand Wasif eine Anstellung in der Registratur (registry) der britischen Militärregierung, damals untergebracht im großen Raum links des Eingangs zum Paulus-Haus (heute dessen Verwaltung). Das Leben und Arbeiten dort war, glaubt man seinen Erinnerungen, offenbar anders als man es sich für eine britische Militärbehörde vorstellt. Er schildert lebhaft die Nachmittagsstunden: „Da ich vor allem gegen Ende des Tages regelmäßig trank, neigte ich dazu, leicht betrunken zu sein, wenn ich um halb fünf in die Registratur zurückkehrte. Meine Kollegen empfingen mich mit Begeisterung und Freude, und wir verbrachten die meiste Zeit der verbleibenden zwei Geschäftsstunden mit Singen, Scherzen und dem Erzählen von Anekdoten.“ (Storyteller, 227) Die große Halle im Ergeschoss des Paulus-Hauses, wo Wasif sonst administrative Vorgänge anlegte, sie nummerierte und nach Gegenständen klassifizierte, diente als Ort größerer Feiern im Governorate: „Die Gäste waren Jerusalemer aller Konfessionen – Muslime, Christen und Juden – und ich war einer der Mitarbeiter, die für den Empfang verantwortlich waren. Costandi Labbat“ – der ihm die Anstellung verschafft hatte – „stellte mich Storrs vor und erzählte ihm von meinen künstlerischen Neigungen und Talenten, insbesondere im Bereich der arabischen Musik, und wie ich Oud, Rebeck und Tanboor spielen, andalusische Muwashahat, ägyptische Dawrs, Volkslieder und Uhzujas der Bauern singen und Dabkeh tanzen konnte. Storrs war beeindruckt und begann von diesem Moment an, mich besonders zu behandeln und mich zu seinen privaten Partys einzuladen, insbesondere zu denen, die er bei sich zu Hause gab.“ (Storyteller, 229f.)

Wasif Jawhariyyeh

 

Beide Männer verband anscheinend mit der Zeit wegen ihrer Liebe zur Musik eine persönliche Beziehung miteinander. Storrs musizierte leidenschaftlich auf seinem Steinway-Flügel, Wasif war ein ausgezeichneter Oud-Spieler. Wasif schildert eine Szene, die von der ungezwungenen Atmosphäre im Governorate zeugt: „Im Winter, wenn der Boden mit Schnee bedeckt war, veranstalteten sie alle Schneeballschlachten. Eines Morgens ging ich zur Arbeit und stellte fest, dass viele meiner Kollegen auf mich gewartet hatten. Sobald ich ankam, fingen sie an, Schneebälle auf mich zu werfen. Ich rief: „Storrs, Storrs! Hilf mir!“ Plötzlich tauchte Storrs auf und kam mir zu Hilfe, indem er sie hektisch mit Schneebällen bewarf. Dank seiner starken Statur gewannen wir die Schlacht und wir alle verbrachten den größten Teil des Tages im Governorate, wo wir Whisky und Cognac tranken. Unter allen Zivilangestellten herrschte eine Atmosphäre der Freundschaft und des Verständnisses; es gab keinen Platz für Hass oder Eifersucht. Storrs gefiel diese Lebensweise, da er sehr lange in Ägypten und im Sudan gelebt und die Bräuche des Orients sowie seine leidenschaftliche und fröhliche Natur kennengelernt hatte, und beschloss, sie zu übernehmen.“ In seiner ganz anderen Stellung erlebte der Gouverneur, der selbst Wasif in seinen Memoiren „Orientations“ nicht erwähnt, das Zusammenleben im Governorate ähnlich: „In meinem Stab befanden sich neben Engländern auch palästinensische Moslems und Christen sowie Juden. Sie haben hervorragend miteinander und auch mit mir zusammengearbeitet, und die Erinnerung an sie alle erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit.“ (Orientations, 463f.)

Sir Ronald Storrs, vor dem britischen Government House (Augusta-Viktoria)

 

Ronald Storrs – der fließend Arabisch in Wort und Schrift beherrschte und in Jerusalem noch modernes Hebräisch erlernte – war seit seiner Zeit in Ägypten mit den wichtigsten Ereignissen und Akteuren der britischen Nahostpolitik persönlich verbunden: Er unterstützte Thomas E. Lawrence, bekannt als „Lawrence von Arabien“, der ihn mehrfach in Jerusalem besuchte, im arabischen Aufstand gegen die osmanische Herrschaft, beriet Sir Henry McMahon bei der Korrespondenz mit Sharif Hussein und arbeitete mit Mark Sykes zusammen, der vom britischen Außenministerium beauftragt war dessen Nachkriegspolitik in der Region zu gestalten. Wenige Tage nachdem General Edmund Allenby am 11. Dezember 1917 Jerusalem betreten hatte, ernannte er den völlig überraschten Storrs zum Militärgouverneur des Distrikts Jerusalem, zu dem ein Großteil Südpalästinas gehörte. Das verlieh ihm weitgehende Vollmachten, die Stadt in den folgenden Jahren nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Eine seiner ersten und dringlichsten Aufgaben nach Monaten der Kämpfe und dem Abzug der türkischen Truppen mitsamt den Lebensmittelvorräten der Stadt war allerdings die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Medikamenten, deren Verteilung er der Stadtverwaltung unter Beteiligung von Repräsentanten aller religiösen Gemeinschaften übertrug.

Die Situation in Jerusalem als Sitz der britischen Militärregierung betrachtete Storrs als unbefriedigend: Man konnte außer den Polizeibaracken hinter der Zitadelle, dem sog. Kishle, keine osmanischen Regierungsgebäude übernehmen und war – da zum Neubau von Regierungsgebäuden anfangs keine Mittel zur Verfügung standen – auf Hospize und andere religiöse Institutionen der Katholiken, Lutheraner und Orthodoxen angewiesen. Unter den christlichen Einrichtungen hebt er, abgesehen von den halb verfallenen Gebäuden des sog. Russian Compound v.a. die deutschen hervor: neben der Auguste-Viktoria-Stiftung auf dem Ölberg und der lutherischen Erlöserkirche das „das Damaskustor und die Kreuzung der Straßen nach Syrien und Transjordanien überschattende zinnenbekrönte römisch-katholische St. Paulus-Hospiz“. Bei einem früheren Besuch Jerusalems hatte Storrs die Einweihungsfeierlichkeiten der deutschen Einrichtungen im Jahr 1910 durch „Prince Eitel Fritz“ am Rande miterlebt. „Das vor kurzem fertiggestellte wuchtige und sorgfältig gebaute deutsche Pilgerhaus“, das heutige Paulus-Haus, besuchte er zum ersten Mal schon einige Tage vor seiner Ernennung zum Militärgouverneur der Stadt. Da er die Räume im Hughe’s Hotel an der Jaffa-Straße, in denen das Governorate zunächst untergebracht war, klein und ungeeignet fand, verlegte er es in das deutsche St. Paulus-Hospiz, für das er, wie er in seinen Memoiren betont, vom ersten Tag an 1000 Pfund Miete zahlte.

Als eigentliches Governorat diente das Erdgeschoss des Gebäudes. Das Paulus-Haus beherbergte zunächst auch die Offiziersmesse und im ersten Stockwerk Unterkünfte für Offiziere, an deren Stelle nach und nach Regierungsdepartments traten. Ab Herbst 1925 richtete auch der Nachfolger Sir Herbert Samuels als britischer Hochkommissar Palästinas, Field Marshall Lord Plumer, für einige Zeit sein Büro im Governorate ein, über dem von Storrs. Im Basement betrieb noch einer der ehemaligen Angestellten des Hospizes ein kleines Café. Dort befand sich auch die zoologische Sammlung von P. Ernst Schmitz, heute als Leihgabe des DVHL im Naturhistorischen Museum der Universität Tel Aviv. Beim ersten Besuch Allenbys im Governorate ließ Storrs dem Liebhaber und Kenner von Vögeln und Tieren Palästinas dieses „Natural History Museum“ zeigen, das die Deutschen im Basement geschaffen hatten, nicht ohne eine Fachsimpelei zwischen dem Oberbefehlshaber und einem Offizier über einen der Vögel Palästinas zu erwähnen, der sich in der Sammlung fand. An der Nordseite des Hauses gab es einen kleinen Pinienwald mit einem weiteren Café, in dem sich jeden Tag um 10 Uhr morgens alle Angestellten, Vorgesetzte und Untergebene gleichermaßen, versammelten und sich gegenseitig mit Scherzen unterhielten.

Luftbild von 1931 (G. Eric and Edith Matson Photograph Collection).

 

Menschen und Ereignisse im Paulus-Haus

Als Sitz des Gouverneurs war das Paulus-Haus in diesen Jahren häufig Ort politischer und gesellschaftlicher Ereignisse. So beschreibt Storrs den Empfang der „Zionistischen Kommission“. Sie war vom britischen Foreign Office gebildet worden, um entsprechend der Balfour-Erklärung notwendige Schritte zur Etablierung einer nationalen jüdischen Heimstätte in Palästina zu unternehmen. Zwar hielt Storrs diese Einrichtung für verfrüht, wollte ihren Mitgliedern aber einen möglichst freundlichen Empfang bereiten: „Die Zionistische Kommission reiste mit dem Zug aus Ägypten an und kam nach einigen Zwischenfällen, wodurch sie eine Zeit lang auf dem Bahnsteig des Bahnhofs von Lydda festsaß, mit dem Auto in Jerusalem an. Ich empfing im Governorate Major Ormsby-Gore und Major James de Rothschild, politische Offiziere, Lieut. Edwin Samuel, Beigeordneter, Herrn Israel Sieff, Herrn Leon Simon, Dr. Eder, Herrn Joseph Cowen und Dr. Chaim Weizmann, den Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation. Monsieur Sylvain Lévy, ein Antizionist, war der Kommission als Vertreter der französischen Regierung beigeordnet. Da die Partie unter der offiziellen Schirmherrschaft der britischen Regierung stand, versammelte ich in meinem Büro den Bürgermeister von Jerusalem (Musa Kazem Pasha al-Husseini) und die Oberhäupter der Gemeinschaften, damit sie und die Besucher sich zum ersten Mal überhaupt in einer zugleich offiziellen und freundlichen Atmosphäre treffen konnten.” (Orientations, 399)

Dem feierlichen Bild, das Storrs von Ereignissen in seinem Dienstsitz zeichnet, stehen Erinnerungen Wasifs gegenüber, die er aus dessen Amtszeit mit einer gewissen Belustigung erzählt, schwankend zwischen Respekt und Verachtung für die britischen Besatzer. So berichtet er einmal vom theatralischen Auftritt Storrs angesichts einer gegen die Balfour-Erklärung gerichteten Demonstration, bei dem er, um die versammelte Menge einzuschüchtern, aus dem Koran zitierte: „Ich erinnere mich an eine Gelegenheit, bei der Leute in einer gewaltigen, herzergreifenden Demonstration durch die Stadt zogen, bis sie das Hauptquartier des Gouverneurs am Damaskustor erreichten, und ihrer Wut in schärfsten Worten Ausdruck verliehen, die sich gegen den Zionismus, die Balfour-Erklärung, die Teilung des Landes, die der britischen Besatzung folgen sollte, und insbesondere die Trennung Syriens von Palästina, richtete. Die Demonstration stoppte für eine Weile und die Leute verlangten, Storrs zu sehen und zu hören, was er zu sagen hatte. Nach einigem Zögern kam er aus dem Governorate und stand hinter dem Zaun, der die Nablus Road überragt. Hinter ihm stand eine Kanone, die von der Armee zurückgelassen und zur Erinnerung dort platziert worden war. Als die Menge den Gouverneur sah, verstummte sie. Storrs sprach dann mit seiner volltönenden Stimme und sagte: „Und bereite für sie alles an Gewalt vor, was du vermagst“, und ging sofort wieder hinein. Es war eine äußerst witzige Vorstellung, aber diese Komödien täuschten die patriotischen Araber nicht, die Storrs gut kannten.“ (Storyteller, 233)

Das einschneidendste politische Ereignis der Jahre, in denen das Paulus-Haus als Regierungsgebäude der Briten diente, waren die Nabi Musa-Unruhen von 1920, bei denen es Tote und zahlreiche Verletzte auf jüdischer und arabischer Seite gab. Dieser Zwischenfall führte anscheinend zum Wechsel von der Militär- zur Zivilverwaltung. Die dafür eingesetzte britische Untersuchungskommission wie auch die Öffentlichkeit warfen Storrs Nachlässigkeit vor, da er die Demonstrationen zugelassen und die Gewalttätigkeiten nicht verhindert hatte. Einige daran beteiligte Palästinenser wurden damals im Governorate inhaftiert, darunter auch der Bürgermeister von Jerusalem, Musa Kazem al-Husseini, der – wie sein Mithäftling Khalil Baydas – beim Jaffator eine flammende Rede gehalten hatte, die zum Ausbruch der Gewalttätigkeiten mit beitrug. Wasif nahm sich im Paulus-Haus der Häftlinge an: „Als ich am Montagmorgen bei der Arbeit im Governorate am Damaskustor ankam, erfuhr ich, dass die Regierung die folgenden Personen über Nacht verhaftet hatte und dass sie in einem separaten Raum im zweiten Stock des Gebäudes festgehalten wurden, in der Nähe der ehemaligen Finanzabteilung: Sheikh Abdul-Qader al-Muzaffar, Abdul-Fattah Darwish und sein Cousin Said Darwish, Khalil Baydas, der eine herzergreifende Rede gehalten hatte, Muhammad Kamel al-Budeiri (da bin ich mir nicht sicher) und Musa Kazem Pascha, soweit ich glaube, und andere. Sie wurden später nach Akko verlegt. Ich half heimlich dabei, sie mit den notwendigen Dingen wie Zigaretten und anderen Dingen zu versorgen.” (Storyteller, 248)

Storrs maß dem möglichst positiven Umgang mit der seit dem Mittelalter bestehenden wichtigsten muslimischen Wallfahrt Palästinas zum traditionellen Moses-Grab nahe Jericho (Nabi Musa) große Bedeutung für die Akzeptanz der britischen Herrschaft zu. Ursprünglich als Gegengewicht zu den christlichen Kar- und Osterfeiern ins Leben gerufen, hatte sie sich Anfang des 20. Jh. zu einem nationalen palästinensischen Ereignis entwickelt, an dem neben Muslimen auch viele Christen teilnahmen. Schon gleich in seinem ersten Jahr als Militärgouverneur (1918) übernahm Storrs dabei die traditionelle Rolle des osmanischen Gouverneurs von Jerusalem, als er zu Beginn der Wallfahrt im Governorate, im ersten Raum vorne rechts (gegenüber der heutigen Rezeption), feierlich das Banner mit dem Schriftzug „Es gibt keinen Gott außer Allah“ aufzog. Die Szene ist auf einer alten, im britischen Imperial War Museum archivierten Filmaufnahme erhalten (https://www.iwm.org.uk/collections/item/object/1060022598; ab 1:50), auf der man auch die Stühle des St. Paulus Hospizes mit dem Emblem Wilhelms II. sehen kann. Storrs stellte auch, wie die osmanischen Türken zuvor, eine Militärkapelle für die Begleitung des Pilgerzugs zur Verfügung. Das stieß allerdings auf Unverständnis bei seinen militärischen Vorgesetzten, schon im ersten Jahr, aber auch danach: „Es bedurfte all unserer ‚meisterhaften Bewältigung des Unvorhergesehenen‘, als mir 1921 im letzten Moment vor Nabi Musa der Colonel-Commandant eine gerade erhaltene Mitteilung mit der Entscheidung des Hauptquartiers übergab, dass ‚nach Abwägung keine Genehmigung für die Teilnahme dieser oder irgendeiner anderen Militärkapelle erteilt werden könne‘, während die fünf Wochen zuvor versprochene Militärkapelle bereits seit einiger Zeit im Hof ​​des Governorats wartete. Der Colonel-Commandant wahrte in sehr angemessener Weise das Ansehen aller Beteiligten, indem er die Verantwortung für die Einhaltung des Programms auf sich nahm. Der plötzliche Rückzug der Kapelle hätte uns in eine schwierige Lage gebracht, da die Musik für jede Menschenmenge die selbstverständliche Orientierung ist, der sie überallhin folgen werden.” (Orientations, 465) Ursache für die Besorgnis Storrs waren sicher die erwähnten Nabi-Musa-Unruhen im Jahr zuvor.

THE BRITISH ARMY IN THE SINAI AND PALESTINE CAMPAIGN, 1915-1918 (Q 12804) Inside the headquarters of the Military Governor of Jerusalem, Ronald Henry Amherst Storrs, at the the opening of the day’s ceremony for the Nebi Musa pilgrimage, 26th April 1918. Copyright: © IWM. Original Source: http://www.iwm.org.uk/collections/item/object/205223520

Während seiner Zeit im Governorate begegnete Wasif Jawhariyyeh verschiedenen Persönlichkeiten der palästinensischen Gesellschaft. Schon gleich zu Beginn seiner Tätigkeit dort lernte er Sami Hadawi (1904-2004) kennen, der im ersten Stock des Regierungsgebäudes wohnte. Der Angestellte im Land Registry Office erwarb detaillierte Kenntnisse über die Land- und Besitzverhältnisse in Palästina, die es ihm später als erster Direktor des Institute for Palestine Studies in Beirut erlaubten, in zahlreichen Studien zur Geschichte Palästinas umfassend die palästinensischen Verluste während der Nakba 1948 zu dokumentieren. Im selben Raum wie Wasif hatte Is’af al-Nashashibi (1885-1948) sein Büro als Inspektor des Bildungsministeriums in Jerusalem. Einer vornehmen Jerusalemer Familie entstammend, gilt er als einer der bedeutendsten palästinensischen und arabischsprachigen Intellektuellen des Landes im 20. Jh. mit großen Verdiensten für die Erneuerung der arabischen Sprache und die Pflege des Fusha, des klassischen Arabisch.

 

Das Paulus-Haus beherbergt die Pro Jerusalem Society

Schon in Kairo hatte sich Ronald Storrs für die Erhaltung islamischer Monumente engagiert und die Gründung des Koptischen Museums mitinitiiert. Für die Bewahrung und Erneuerung der Kulturgüter der Heiligen Stadt gründete er die Pro Jerusalem Society, die im Governorate ihren Sitz hatte. Als Berater (civic adviser) und Sekretär der Gesellschaft wählte er Charles R. Ashbee (1854-1932), einen der jüngeren Hauptvertreter des im 19. Jh. entstandenen britischen Arts and Craft Movement, das – im Unterschied zu maschineller Massenproduktion – Kunstgewerbe und handwerkliche Herstellung als gesellschaftliche Kraft zur Geltung bringen und rehabilitieren wollte. Zwischen 1918 und 1924 tagte der Rat der Gesellschaft monatlich im Büro des Gouverneurs, bemerkenswerter Weise in französischer und nicht in englischer Sprache.

 

Es war gerade das Miteinander der Jerusalemer Gemeinschaften, das die Pro Jerusalem Society fördern sollte, unter Zurückweisung aller „religiösen und ethnischen Präferenzen“ (Orientations, 511). Einen symbolischen Ausdruck fand das in ihrem Logo: ein jüdischer Davidstern, in den das christliche Kreuz von Jerusalem eingefügt war und dessen rechte Seite ein muslimischer Halbmond umfasste. Die Gesellschaft versammelte „um einen Tisch den Bürgermeister von Jerusalem, den britischen Antikendirektor, den Mufti, die Oberrabbiner, die Präsidenten der italienischen Franziskaner und der französischen Dominikaner, den orthodoxen, den armenischen und den lateinischen Patriarchen, die Präsidenten der jüdischen Gemeinde, den anglikanischen Bischof, den Vorsitzenden der Zionistischen Kommission, die Dominikanerpatres Abel und Vincent, Capitano Paribene (…) zusammen mit anderen führenden Mitgliedern der britischen, arabischen, jüdischen und amerikanischen Gemeinschaften” (Orientations, 364). Man kann diese „Tafelrunde“ durchaus wörtlich verstehen. Bei einem Vortrag in London zu Weihnachten 1920 formulierte Storrs das ganz konkret, indem er auf die Möbel Bezug nahm, die Kaiser Wilhelm II. einst für das Pilgerhospiz hatte anfertigen lassen: „Noch wichtiger ist die Neuerung, dass sich an ein und demselben Tisch in einem deutschen Hospiz auf Stühlen, die mit der Krone und dem Monogramm Wilhelms II. versehen oder geprägt sind, die Oberhäupter verschiedener gegensätzlicher Gruppierungen versammeln können, um ihre Differenzen beizulegen und gemeinsam für das Gute von Jerusalem zu arbeiten.“ Es ist vielleicht kein Zufall, dass bei der Gründungssitzung der Gesellschaft zwölf Teilnehmer anwesend waren, genau so viele wie die Anzahl der erwähnten Stühle mit dem Emblem Wilhelms II., die sich noch heute im Paulus-Haus befinden.

Die Altstadt von Jerusalem sollte aus Sicht Storrs, Ashbees und der von ihnen wesentlich bestimmten Gesellschaft spirituellem, kulturellem und religiösem Leben gewidmet sein. Das wirkte sich etwa im Verbot von sichtbarer Werbung, Bars, Prostitution sowie Tanz- und Cabaret-Veranstaltungen in Hotels innerhalb der Altstadtmauern aus. Seit 1918 sahen britische Stadtentwicklungspläne die Isolierung der Altstadt von der Neustadt durch einen Grüngürtel vor. Der Stadtplaner Patrick Geddes sprach von einem „Holy Park of Jerusalem“. Der so gestaltete urbane Raum sollte für Ashbee die „romantic beauty and grandeur“ der Stadt wahrnehmen lassen. Dafür mussten alle Gebäude verschwinden, die im Lauf der Zeit außen an die Altstadtmauer angebaut worden waren, auch die außerhalb des Jaffa-Tors, in der späten osmanischen und der britischen Zeit das eigentliche Stadtzentrum. Ganz umgesetzt wurden diese Pläne erst nach 1967 unter Teddy Kollek. Eine wichtige Baubestimmung, die in der Pro Jerusalem Society vorgeschlagen wurde und die Stadt bis heute prägt, ist die zwingende Verwendung des weißen Jerusalem-Steins, um sichtbar eine Beziehung zur biblischen Vergangenheit der Stadt herzustellen. Restaurationsmaßnahmen der Society waren die Wiederherstellung der Zitadelle, der osmanischen Stadtmauer mit der Anlage des Ramparts Walk und die Erneuerung des mittelalterlichen Suq al-Qattanin, der mehr oder weniger zu einer Latrine verkommen war. Daneben stand, inspiriert durch das Arts and Craft Movement, die Förderung von lokalem Kunsthandwerk. Ashbee sollte es im Auftrag der Pro Jerusalem Society bewahren, fördern und soweit als möglich auf eine wirtschaftliche Basis stellen. Glasbläser aus Hebron wurden in Jerusalem angesiedelt, im restaurierten Suq al-Qattanin Workshops zur traditionellen Herstellung von Textilien als Rehabilitationsmaßnahme für armenische und syrische Flüchtlinge durchgeführt, die Herstellung armenischer Keramik in Jerusalem gefördert, eine Folge der geplanten, letztlich aber gescheiterten Erneuerung der Fliesen am Felsendom durch den Armenier David Ohannessian.

Charles Robert Ashbee (1863-1942) by William Strang

 

Auch wenn man nicht bezweifeln kann, dass sich Storrs unermüdlich für die Stadt eingesetzt hat, die er liebte und für den es nach eigenem Bekunden „nach Jerusalem keine Beförderung mehr geben konnte“, blieb ihm, dem Sohn eines anglikanischen Geistlichen, und Ashbee der Vorwurf nicht erspart, aus einer stark biblisch geprägten christlichen und westlichen Sicht weniger dem städtischen Fortschritt gedient, als vielmehr eine realitätsferne und idealisierte Vergangenheit konstruiert zu haben. In seinem grundlegenden Werk über „Orientalismus“ nennt Edward Said – neben einigen anderen Akteuren – Storrs einen „British agent-Orientalist“. Sichtbar wurde diese Haltung etwa, wenn er Wasif Jawhariyye dazu drängte in traditioneller Kleidung aufzutreten, wie er schon in Kairo seine Diener ihre Arbeit (nicht zu deren Gefallen) in traditioneller Kopfbedeckung und Galabia erledigen ließ. Storrs Dekrete und das Wirken der Pro Jerusalem Society verfolgten andere Ziele als die von der lokalen Elite und der von ihr bestimmten Jerusalemer Stadtverwaltung in den letzten Jahrzehnten osmanischer Herrschaft begonnenen Entwicklungen. Beispiele dafür sind sein Verbot einer geplanten Straßenbahn nach Bethlehem und auf den Ölberg sowie die Beseitigung des osmanischen Uhrturms auf dem Jaffator gegen den Willen der Stadtverwaltung, was auch Wasif in seinen Erinnerungen kritisch bemerkt. An die Stelle einer im 19. Jh. entstandenen religiös und ethnisch diversen Stadtgesellschaft hätten sie – so der Vorwurf – die Vorstellung eines antagonistischen Nebeneinander der einzelnen Gruppen gesetzt, das sie zwar überwinden wollten, so aber eher betonten. Ashbee seinerseits hing der romantischen Vorstellung eines Orients an, in dem „oriental mysteries“ überlebt haben, auch wenn etwa die Keramikproduktion Ohanessians und seiner Mitarbeiter, die eigentlich keine Vorgeschichte in Jerusalem hatte, wesentlich durch Ashbees professionelle Kenntnisse über Brenn- und Glasurtechniken beeinflusst wurde, die er aus dem Arts and Craft Movement in England besaß. Solche Kritik ist vor allem in jüngerer Zeit geäußert worden und sie verdeckt vielleicht bei aller Berechtigung auch etwas die Verdienste dieses Engagements. Die Ambivalenz zeigt sich schon bei Wasif Jawhariyyeh, der eine Zeitlang selbst für die Pro Jerusalem Society arbeitete. Er betont zum einen den großen persönlichen Gewinn aus dieser Tätigkeit, die ihm einen tiefen Einblick in die Geschichte und Kultur seiner Heimatstadt ermöglichte. Er erzählt aber auch eine Begebenheit im Governorate, die die bevormundende Haltung dahinter erahnen lässt: „Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung konnte ich es nicht ertragen, weiterhin unter Mr. Ashbee zu arbeiten. Eines Winterabends, als ich ziemlich betrunken war, ging ich in die Kanzlei, wo mich meine Kollegen mit dem üblichen Jubel und Gelächter begrüßten, und ich begann, über die Schreibtische zu laufen. Plötzlich kam Mr. Ashbee herein und starrte mich an, also rief ich mit voller Stimme: ‚Hallo, hallo Mr. Ashbee.‘ Meine Kollegen brachen in Gelächter aus, während er wütend in sein Büro zurückkehrte, um einen vernichtenden Bericht gegen mich zu schreiben, der sich als der letzte Schlag herausstellte. Kurz gesagt, ich wurde in die Übersetzungsabteilung versetzt und von seinen unerträglichen Belästigungen befreit. Ich dankte dem Herrn für dieses Ergebnis.“ (Storyteller, 250)

Die Pro Jerusalem Society wurde 1926 aufgelöst, im selben Jahr als Ronald Storrs zum britischen Gouverneur für Zypern ernannt wurde und die Stadt verließ. Sein Nachfolger als Zivilgouverneur Jerusalems verlegte das Governorate ins Christliche Viertel der Altstadt. Das Paulus-Haus wurde auch weiterhin von den Briten genutzt, die im ersten Stock das Schatzamt (treasury) des Mandats einrichteten und im massiv gebauten Untergeschoss des Hauses die unter dem Einfluss des britischen Hochkommissars Sir Herbert Samuel neu geschaffenen Banknoten Palästinas deponierten.

Seit über einhundert Jahren bieten wir Reisenden einen gastfreundlichen Ort, um Jerusalem und seine heiligen Stätten zu besuchen. Unser Haus mit seiner ruhigen Atmosphäre in einem großzügigen historischen Ambiente ist selbst ein Teil der Geschichte Jerusalems. Direkt am Damaskustor der Altstadt gelegen, mit ihrem bunten orientalischen Leben, erreichen Sie die Erinnerungsorte der drei großen Weltreligionen in wenigen Minuten zu Fuß.