Vergessene Überlieferungen: Was die simpliciores fratres, die „einfacheren Brüder“, noch sahen: das Blut des Zacharias zwischen Tempel und Altar

Das Monument, das heute in Jerusalem noch am ehesten an den Hl. Zacharias erinnert, ist der Pyramiden-Monolith im Kidrontal. Es gibt aber viel ältere christliche Zacharias-Überlieferungen, die mit dem Tempelberg verbunden sind und in vielen Pilgerberichten eine Rolle spielen, nicht zuletzt die Spuren seines Blutes. Aber: Um welchen Zacharias geht es dabei eigentlich?

Der Kirchenlehrer Hieronymus (347-420 n. Chr.), der einen Großteil seines Lebens in Bethlehem verbrachte, wo er starb und begraben wurde, erinnert an eine besondere christliche Überlieferung auf dem Jerusalemer Tempelberg. In seinem Matthäus-Kommentar erwähnt er, dass die „einfacheren Brüder (simpliciores fratres) zwischen den Ruinen des Tempels und des Altares oder bei den Ausgängen der Tore, die nach Siloa führen, rote Steine zeigen und meinen, sie seien vom Blut des Zacharias befleckt“. Er legt ein Wort aus der Rede Jesu im Tempel bei Matthäus aus, dem zufolge die Pharisäer und Schriftgelehrten – zu ihrem eigenen Unheil – die ihnen gesandten Propheten ermorden werden, wie es zuvor schon ihre Väter getan haben (Mt 23,34f.; vgl. Lk 11,50f.):

34. Darum siehe, ich sende Propheten, Weise und Schriftgelehrte zu euch; ihr aber werdet einige von ihnen töten und kreuzigen, andere in euren Synagogen auspeitschen und von Stadt zu Stadt verfolgen. 35. So wird all das unschuldige Blut über euch kommen, das auf Erden vergossen worden ist, vom Blut Abels, des Gerechten, bis zum Blut des Zacharias, Barachias Sohn, den ihr zwischen dem Tempelgebäude und dem Altar ermordet habt.

Der große Bibelgelehrte und Kenner des Heiligen Landes, der immer wieder fromme und volkstümliche Überlieferungen hinterfragt hat, ist auch in diesem Fall kritisch und hält die am alten Tempel vorgezeigten Blutspuren für einen Irrtum. Aber – und das zeigt leider die antijüdische Tendenz dieser Überlieferung – er bemerkt auch: „Wir verurteilen den Irrtum nicht, der aus dem Haß gegen die Juden und frommer Gläubigkeit rührt.“ (G. Stemberger)

Hieronymus ist nicht der erste und nicht der letzte, der über diese Blutspuren spricht. Schon dem anonymen Pilger von Bordeaux, von dem der älteste christliche Pilgerbericht überliefert ist (333 n. Chr.), wurden sie gezeigt:

15. Und in dem Gebäude selbst (aedes ipsa), wo der Tempel war, den Salomo gebaut hat, befindet sich bis zum heutigen Tag auf dem Marmor(fußboden) vor dem Altar das vergossene Blut des Zacharias; auch sind die Spuren der Nägel der Soldaten zu sehen, 16 die ihn töteten, durch den ganzen Raum hindurch wie in Wachs gegossen. (Übersetzung: H. Donner, Pilgerfahrt ins Heilige Land, 54)

Ebenso erwähnt die Pilgerin Egeria (bei Petrus Diaconus, De locis sanctis, E; um 400 n. Chr.; G. Röwekamp) das am Tempel vergossene Blut des Zacharias, wenn auch ohne einen Hinweis auf verbliebene Spuren davon (ähnlich noch Epiphanius der Mönch, 5; vor 692 n. Chr.). Interessanterweise überträgt das Jerusalem-Brevier (3 A; um 550 n. Chr.) diese Tradition, wie es auch bei anderen mit dem Tempelberg verbundenen Überlieferungen geschehen ist, in die Rotunde der Anastasis (Grabeskirche): „Vor dem Grabe (Jesu) ist der Altar, wo der hl. Zacharias getötet wurde, wo sein Blut vertrocknete.“ (H. Donner, Pilgerfahrt ins Heilige Land, 222) Offenbar gab es in einer Apsis gegenüber dem Eingang des Hl. Grabes einen Altar des Zacharias (J. Wilkinson).

Mit der Christianisierung der muslimischen Bauten auf der Tempelterrasse in der Kreuzfahrerzeit lebte die frühchristliche Tradition von der Ermordung des Zacharias an dieser Stelle wieder auf, lokalisiert anscheinend zunächst in der als Allerheiligstes des Tempels gedeuteten Höhle im Felsen unter dem Felsendom, der als Templum Domini „Tempel des Herrn“ das zweitwichtigste Heiligtum der von den Keuzfahrern beherrschten Stadt wurde. Das legen die Berichte des angelsächsischen Pilgers Saewulf (15; 1101-1103) und des russischen Abtes Daniel (17; 1106-1108) im frühen 12. Jh. nahe. Daniel bemerkt, dass man früher das Blut des Zacharias sehen konnte, aber nicht mehr zu seiner Zeit: „Beneath this roof (unter dem Felsendom!) there is a cave cut into the rock, in which the prophet Zachariah was killed; formerly his tomb and his blood were here but not now.“ (J. Wilkinson/J. Hill, Jerusalem Pilgrimage 1099–1185, 132). Andere, etwas spätere Zeugnisse verorten den Mord außerhalb des Felsendoms, so etwa der Benediktinermönch Petrus Diaconus (3; 1137) oder der sog. Seventh Guide (um 1160). Verschiedene Pilgerberichte des 12. Jh. (Work on Geography, 142; 1128-37; der Mönch Theoderich, 23; 1169-74; Johannes von Würzburg, 123; um 1170) erzählen von einem noch erhaltenen Altar außerhalb des Tempels (Felsendom), den die Muslime (Sarazenen) in eine Sonnenuhr umgewandelt hätten, wo Zacharias, der Sohn des Barachias, ermordet worden sei (J. Wilkinson/J. Hill, Jerusalem Pilgrimage 1099–1185). Die Angabe von Abt Daniel zu Beginn der Kreuzfahrerherrschaft, dass sich in der Höhle unter dem Felsen auch das Grab des Zacharias befunden habe, begegnet noch am Ende dieser Periode – ehe alle christlichen Bauten und Erinnerungsstätten auf der Tempelterrasse wieder beseitigt wurden – bei dem byzantinischen Pilger Johannes Phocas (25; 1185): „On the right side one finds an opening leading down to a cave underneath the Temple (die Höhle im Felsen unter dem Felsendom). In this was buried the Prophet Zacharias, whom according to the Gospel the Jews slew between the Temple and the altar.“ (J. Wilkinson/J. Hill, Jerusalem Pilgrimage 1099–1185, 325)

Diese Überlieferungen vom Grab des Zacharias auf dem Tempelberg stehen in Konkurrenz zu Erinnerungen bei den hellenistisch-römischen Gräbern im Kidrontal, die zu unterschiedlichen Zeiten ebenfalls mit Sacharja/Zacharias in Verbindung gebracht wurden. Schon aus der byzantinischen Zeit gibt es eine Kritzelei am Kuppelmonolithen (sog. Denkmal Abschaloms), die ihn als „Grab des Zacharias, des Märtyrers, des sehr frommen Priesters und Vaters des Johannes“ bezeichnet und so alle Traditionen bündelt, die uns gleich begegnen werden. Auch beim südlich benachbarten Säulengrab der Bene-Hesir wird seit dem 4. Jh. n. Chr. zusammen mit dem Herrenbruder Jakobus (s. Blog: Ja’akov ha-Zaddiq) auch das Begräbnis der Priester Zacharias und Simeon verehrt, bei denen es sich in dieser Kombination nur um die beiden bedeutenden Gestalten der Kindheitserzählungen Jesu handeln kann, den alten Simeon (Lk 2,21-40) und den Vater Johannes des Täufers (Lk 1). Verhältnismäßig spät, seit dem Mittelalter, verbindet sich die Tradition vom Grab des Zacharias schließlich mit dem Pyramiden-Monolithen und verdrängt an dieser Stelle die des Jakobus-Grabes. (M. Küchler)

Zusammen mit der Erinnerung an das Martyrium und das Grab des Herrenbruders Jakobus (s. Blog: Ja’akov ha-Zaddiq) ist die Tradition von der Ermordung des Zacharias „zwischen Tempel und Altar“ ein denkbar negatives Vorzeichen für die christliche Wahrnehmung des Tempelbergs während der ersten Jahrhunderte christlicher Präsenz in Jerusalem. Das zitierte Wort des Hieronymus vom Hass auf die Juden, als er die Zacharias-Tradition erwähnt, zeigt das deutlich. Auch wenn diese negativen Konnotationen des Tempelbergs in der Kreuzfahrerzeit mit den christianisierten muslimischen Heiligtümern vor allem des Templum Domini (Felsendom) und der Jakobus-Kirche (Kettendom) sicher nicht mehr dominant waren, lebten beide Traditionen doch auch in dieser Zeit fort.

 

Was steht aber hinter der Überlieferung vom gewaltsamen Tod des Zacharias und seinem vergossenen Blut? Der Ausgangspunkt ist das eingangs zitierte Jesus-Wort, das er an diesem Ort gesprochen haben soll (Mt 23,35/Lk 11,51; s.o.). Da es in fast wörtlicher Übereinstimmung bei Matthäus und Lukas begegnet, bei Markus dagegen fehlt, wird es in der neutestamentlichen Bibelwissenschaft der sog. Logienquelle (Q) zugeschrieben, einer sehr frühen Überlieferung von Sprüchen Jesu, die zwar nicht ohne weiteres alle als Worte des historischen Jesus verstanden werden können, aber nah an ihn heranführen.

Dass all das unschuldige Blut, das auf der Erde vergossen wurde, „vom Blut Abels, des Gerechten, bis zum Blut des Zacharias, Barachias’ Sohn“, über die von Jesus angesprochenen Pharisäer und Schriftgelehrten kommen soll, weil sie von Gott gesandte Propheten, Weise und Schriftgelehrte verfolgt und grausam töten, ist ein schwerer Vorwurf, der mit der fortschreitenden Trennung von Judentum und Christentum mehr und mehr antijüdisches Gewicht bekommen hat. Die zitierte Aussage des Hieronymus über den Hass auf die Juden kommt nicht von ungefähr.

Wegen des Namens seines Vaters (Barachias) ist die Identität des im Jesus-Wort genannten Zacharias (griechische Form der beiden Namen) anscheinend klar: Es handelt sich um den biblischen Propheten Sacharja (hebräische Namensform) der frühnachexilischen Zeit, der in seinem Prophetenbuch als „Sohn des Berechja“ (hebräische Form; griech.: Barachias) vorgestellt wird (Sach 1,1). Bei näherem Hinsehen stellt sich das allerdings als fraglich heraus: Für den biblischen Propheten Sacharja gibt es keine Überlieferung eines gewaltsamen Todes, schon gar nicht am Tempel. Eigentlich kommt nur ein biblischer Text – so wie Gen 4,1-16 für den Brudermord an Abel – als Referenz für die Aussage Jesu in Frage: ein Bericht in der Chronik über die Ermordung des Priesters Secharja (eine Variante des hebräischen Namens) im Tempel auf Geheiß des Königs Joasch. Der war allerdings ein Sohn Jojadas, nicht Berechjas. Sein Vater Jojada hatte König Joasch nach dem Interregnum der Königin Atalja aus dem Haus der Omriden (die im Nordreich Israel herrschten) auf den Thron gebracht. Nach dem Tod Jojadas und dem darauf folgenden Abfall des Königs und des Volks vom reinen JHWH-Kult trat Secharja, neben anderen Propheten, prophetisch mahnend auf und musste dafür die gewaltsamen Konsequenzen ertragen, ganz so wie es im Jesuswort angesprochen ist (2 Chr 24):

20 Da kam der Geist Gottes über Secharja, den Sohn des Priesters Jojada. Er trat vor das Volk und hielt ihm vor: So spricht Gott: Warum übertretet ihr die Gebote des HERRN? So könnt ihr kein Glück mehr haben. Weil ihr den HERRN verlassen habt, wird er euch verlassen. 21 Sie aber taten sich gegen ihn zusammen und steinigten ihn auf Befehl des Königs im Hof des Hauses des HERRN. 22 König Joasch dachte nicht mehr an die Treue, die ihm Jojada, sein Vater, erwiesen hatte, sondern ließ dessen Sohn töten. Dieser aber rief sterbend aus: Der HERR möge es sehen und vergelten.

Das nur aus altkirchlichen Zitaten bekannte Nazoräer-Evangelium, dessen Tradition vielleicht bis ins 2. Jh. n. Chr. zurückreicht, hat in der Mt 23,35 entsprechenden Stelle tatsächlich „Sohn des Jojada“ anstatt „Sohn des Barachjas“ (Hieronymus). Seit Hieronymus nahm man in der lateinischen Kirche meist an, wie auch in der modernen Bibelwissenschaft, dass in dem zitierten neutestamentlichen Wehewort Jesu ursprünglich tatsächlich dieser Secharja, der im Tempel ermordete Sohn Jojadas, gemeint ist. Dann könnte die Aussage „von Abel bis Zacharias“ die gesamte Bibel umfassen, deren hebräische Überlieferung mit dem Buch Genesis (Abel) beginnt und mit dem 2. Chronikbuch (Secharja) schließt. Die Aussage umfasst also alle ungerechten Gewalttaten gegen Gottes Boten, von denen die Bibel spricht. Dass dann Matthäus diesen wenig bekannten Secharja mit dem Propheten gleichen Namens identifiziert, dem immerhin ein Buch im Zwölfprophetenkanon zugeschrieben wird und dessen Verkündigung eng mit dem Tempel verbunden ist (Sach 4), ist nicht so ungewöhnlich. Solche Namensverwechselungen oder bewusste Fusionen kommen in der Bibel vor. Der Gedanke an den Propheten Sacharja dürfte schon deshalb nahegelegen haben, da im Wort Jesu unmittelbar zuvor ja von den Propheten die Rede ist, die Gott zu seinem Volk sendet. Vielleicht war es aber auch gar kein Versehen und Matthäus spielte bewusst mit dem Gedanken, dass Abel am Anfang aller Geschichte steht, Sacharja, Sohn des Berechja, am Beginn der Epoche des Zweiten Tempels und an deren Ende der Mord an Jesus. Auch das wäre eine Konstellation, die die ganze unheilvolle Geschichte des Volkes Israel mit seinen von Gott gesandten Propheten umfasst (I. Kalimi). Jedenfalls zielt die Aussage über die Prophetenmorde letztlich auf den gewaltsamen Tod Jesu.

Ein frühjüdischer Text über die Prophetenleben aus dem 1./2. Jh. n. Chr. (Vitae Prophetarum) zeigt, dass das Geschick des Priesters Secharja im Tempel zur Zeit Jesu eine größere Rolle spielte, als das seine beiläufige Erwähnung in der jüdischen Bibel erwarten läßt. Darin wird eben dieser Secharja, Sohn des Jojada, unter die bekannten Vorderen und Hinteren Propheten der Bibel eingereiht und mit seinem gewaltsamen Tod sogar das Ende der Weissagung im Tempel verbunden. In dieser Überlieferung wird auch ausdrücklich erwähnt, dass die ihn töteten, sein Blut im (Tempel)hof vergossen haben.

In der Chronik-Erzählung wird Secharja im Hof des Tempels gesteinigt. Vor dem Tempelgebäude stand im Zweiten Tempel der Brandopferaltar. Wenn das Jesus-Wort von der Ermordung Zacharias’ „zwischen Tempel und Altar“ spricht, lässt sich das gut von der Lokalisierung in der Chronik her verstehen, steigert aber vermutlich noch die frevlerische Übertretung, da die Gewalttat unmittelbar am Zugang zum Tempelhaus geschieht. Die Darstellung der Chronik gibt aber vielleicht noch Anlass zu einer weiteren Entwicklung, die für die christliche Zacharias-Tradition auf dem Tempelberg wichtig ist. In der Erzählung vom Brudermord Kains an Abel schreit das unschuldig vergossene Blut Abels zu Gott (Gen 4,10), der Kain zur Verantwortung zieht. Ähnlich endet die Erzählung der Chronik von der Ermordung Secharjas mit den Worten: „Dieser aber rief sterbend aus: Der HERR möge es sehen und vergelten.“ Im Judentum entsteht daraus später eine bekannte und im Talmud überlieferte Erzählung, wohl ins 2. Jh. n. Chr. zurückzudatieren, die vom ungesühnten Blut des im Tempel ermordeten Secharja, Sohn Jojadas, handelt (bGittin 57b; bSanhedrin 96b; jTa’anit IV, 5/69ab): Der babylonische Feldherr Nabusaradan stößt auf Blut, das im Tempel – offenbar am Altar – aufbrodelt. Auf seine Frage, um welches Blut es sich dabei handele, will man sich erst mit Blut der Opfertiere herausreden, gibt dann aber zu, dass es das ungesühnte Blut des Sacharja sei, den man wegen seiner Gerichtsbotschaft im Vorhof der Priester (in dem der Brandopferaltar vor dem Eingang zum Tempel stand) getötet habe. Es verschwindet in der talmudischen Erzählung erst, nachdem es gesühnt wurde. Die Nähe zur christlichen Tradition des Blutes des Zacharias, das von seiner Ermordung Zeugnis gibt, ist bemerkenswert.

Wo begegnet aber in der christlichen Überlieferung überhaupt das Blut des Zacharias als Zeuge für seine Ermordung? Das Wort Jesu im Matthäus- und Lukas-Evangelium spricht nicht davon und kann nicht die einzige Quelle für die spätere christliche Zacharias-Tradition in Jerusalem sein. Das oben angeführte Zitat aus dem Bericht des Pilgers von Bordeaux erwähnt neben Zacharias’ vergossenem Blut auch noch die Spuren der genagelten Schuhe der Soldaten, die ihn getötet haben. Von beidem – dem bleibenden Zeugnis des Blutes und Zacharias’ Ermordung durch Soldaten – erzählt das Protoevangelium des Jakobus aus dem 2. Jh. n. Chr. Dort ist zwar nur von Dienern des Herodes die Rede, die vermutlich später als Soldaten aufgefasst wurden. In diesem für die christliche Erinnerungslandschaft Jerusalems wichtigen Text wird der Mord sogar „im Vorraum des Tempels“ bzw. im Tempel selbst lokalisiert.

23,1 Herodes aber war (noch) auf der Suche nach Johannes, darum sandte er Diener zum Altar zu Zacharias und ließ ihm sagen: „Wo hast du deinen Sohn versteckt?“ Er aber antwortete ihnen mit den Worten: „Ich bin Diener Gottes und halte mich ständig in seinem Tempel auf. Was weiß ich, wo mein Sohn ist?“ 2 Die Diener des Herodes gingen weg und berichteten ihm dies alles. Da geriet Herodes in Zorn und sagte dieses: „Sein Sohn soll wohl König von Israel werden?“ Und er sandte ihm wiederum die Diener, ihm zu sagen: „Sag mir die Wahrheit: Wo ist dein Sohn? Weißt du, daß dein Blut in meiner Hand ist?“ Die Diener gingen also fort und übermittelten ihm das. 3 Aber Zacharias antwortete ihnen: „Ich bin Blutzeuge Gottes. Nimm mein Blut! Meinen Geist aber wird der Herr aufnehmen, denn du vergießt unschuldiges Blut im Vorraum des Tempels des Herrn.“ Und um die Morgendämmerung wurde Zacharias ermordet, aber die Söhne Israels wussten nicht, dass er ermordet worden war.

24,1 Aber zur Stunde der Begrüßung machten sich die Priester auf, doch der Segen des Zacharias kam ihnen nicht wie gewöhnlich entgegen. Und die Priester standen und warte­ten auf Zacharias, um ihn mit Gebet zu begrüßen und Gott, den Allerhöchsten, zu preisen. 2 Da er sich aber verspätete, wurden sie alle von Angst ergriffen. Dann wagte einer von ihnen, in das Heiligtum hinein zu gehen, und sah am Altar des Herrn geronnenes Blut, und eine Stimme sprach: „Zacharias ist ermordet worden, und sein Blut soll nicht fort­ gewischt werden, bis der Rächer kommt.“ Als er diese Worte hörte, fürchtete er sich, ging hinaus und meldete den Priestern, was er gesehen und gehört hatte. 3 Auch sie fassten Mut und gingen hinein und sahen, was geschehen war. Und die Täfelung der Tempeldecke ächzte, und sie selber zerrissen (ihre Kleider) von oben bis unten. Aber seinen Leichnam fanden sie nicht, wohl aber fanden sie sein Blut, zu Stein geworden. Da fürchteten sie sich und gingen hinaus und meldeten, daß Zacharias ermordet wurde. (Übersetzung: Pelegrini, AcA II, 928f.)

Die Erzählung knüpft an die biblische Geschichte des Kindermords in Bethlehem an (Mt 2,16-18) und lässt Herodes gezielt nach Johannes, dem Sohn des Priesters Zacharias suchen. Dass Zacharias sich dem Anspruch des Herodes verweigert, ist dem Protoevangelium zufolge der Grund für seine Ermordung im Tempel. Wie anscheinend im Wehewort Jesu bei Matthäus der Priester Secharja, Sohn des Jojada, zum Propheten Sacharja, Sohn des Berechja, wird, denkt die Überlieferung des Protoevangeliums bei dem im Tempel ermordeten Zacharias bemerkenswerterweise wiederum an einen anderen: den Vater Johannes des Täufers und damit an eine wichtige Gestalt der neutestamentlichen Überlieferung (Lk 1). Anknüpfungspunkt für diese Identifikation dürfte die Übereinstimmung des Namens beider Personen sein. Das knappe Wort in Mt 23,35/Lk 11,51 erhält so eine prominente biblische Verankerung. Das prägt dann v.a. das Verständnis des Wehewortes Jesu in der Tradition der Ostkirchen. Origenes – gefolgt von vielen griechischen Vätern – beruft sich in seinem Matthäus-Kommentar noch auf eine andere Überlieferung, die von der Ermordung des Vaters des Täufers „zwischen Tempel und Altar“ erzählt. Ihr zufolge wurde er getötet, weil er Maria nach der Geburt Jesu in dem nur Jungfrauen vorbehaltenen Bereich des Tempels Zutritt gewähren wollte und so das Gesetz übertreten habe (Comm. ser. Matt. 25 zu Mt 23,35).

Die neutestamentliche Überlieferung kennt dagegen kein gewaltsames Ende des Zacharias, des Vaters des Johannes. Allerdings wird er darin als Priester eng mit dem Tempel verbunden, was das Protoevangelium des Jakobus noch unterstreicht. Lk 1,5-25 schildert Zacharias, für den Lukas keinen Vatersnamen nennt, als Priester, der seinen Dienst im Tempel versieht, in dessen Innerem das Räucheropfer darbringt und dabei die Verheißung der Geburt des Vorläufers Johannes erhält. Nach der Geburt seines Sohnes Johannes spricht er dort, vom Heiligen Geist erfüllt, das „Benedictus“ genannte Gebet, was ihn in prophetischem Licht zeigt (Lk 1,67-78). In der (gegenüber Mt 23,35 vermutlich ursprünglichen) Fassung des Wortes über die Ermordung des Zacharias zwischen Altar und Tempel bei Lukas fehlt ebenfalls der Vatersname (Lk 11,51). So stand der Verbindung des am Tempel ermordeten Zacharias mit dem Tempelpriester Zacharias, dem Vater des Johannes, in der späteren Rezeption zumindest im Lukas-Evangelium nichts entgegen. Sicher hat diese Identifikation die christliche Erinnerung geprägt und die Pilger durch die Jahrhunderte haben an ihn gedacht, wenn man ihnen den Ort der Ermordung des Zacharias, sein Blut oder sein Grab auf dem Tempelberg gezeigt hat, auch wenn die Pilgertexte das nicht eindeutig erkennen lassen.

Bis heute gibt es auch eine muslimische Erinnerung an Zacharias auf dem Haram-ash-Sharif. Seit dem 10. Jh. begegnet in muslimischen Texten für ein Raum in der Südostecke der Tempelterrasse die Überlieferung eines Gebetsplatzes (mihrab) Marias mit der steinernen Wiege Jesu und damit verbunden eines Mihrab des Zakkariya. Die Verbindung zwischen beiden, die etwas an die Sorge des Zacharias für Maria in der von Origenes überlieferten Erzählung erinnert, wird im Koran beschrieben, wo Zacharias die Pflegschaft für Maria im Tempel anvertraut wird, Koran Sure 3,37:

Da nahm ihr Herr sie gütig an
und ließ sie heranwachsen auf schöne Weise
und setzte Zacharias ein zur Pflegschaft über sie.
Sooft nun Zacharias zu ihr in den Tempel eintrat,
fand er bei ihr Speise.
Er sprach: „O Maria, woher hast du das?“
Sie sprach: „Es ist von Gott.
Siehe, Gott versieht mit Gaben, wen er will, ohne zu berechnen.“
(Überrsetzung: Bobzin, Der Koran)

An der Ostseite der Aqsa-Moschee befindet sich der sog. Mihrab des Zakkariya, ein Anbau der Kreuzfahrer mit einer Fenster-Rosette. Wurde hierher die ältere Tradition eines Mihrab des Zakkariya übertragen?

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