Palmsonntag: Jesu Einzug in Jerusalem als "König Israels"

Am Palmsonntag feiern die Christen in Jerusalem den Einzug Jesu in die Stadt mit einer großen Prozession, die von Betfage am Ölberg bis zum Teich Betesda bzw. zur Anna-Kirche in der Altstadt führt. Welche biblische Bedeutung ist mit diesem Auftakt der Passionserzählungen verbunden?

Es gibt in Jerusalem einen Ort, am Westhang des Ölbergs gelegen, wo sich Christen an Jesu Weinen über Jerusalem und ihr bevorstehendes gewaltsames Ende erinnern: die Kirche Dominus flevit – „Der Herr weinte“. Die kleine Szene folgt im Lukas-Evangelium unmittelbar auf den Bericht über Jesu Einzug in die Stadt. Bei Lukas sagt Jesus:

„Wenn du doch an diesem Tag erkannt hättest, was Frieden bringt.“ (Lk 19,41f.)

Für den Evangelisten ist es Jesus selbst, mit dem der Friede in die Stadt kommt, den die Jerusalemer letztlich nicht erkennen. Viele empfangen ihn zuerst jubelnd als den königlichen Messias, als „König Israels“ und wenige Tage später wird er als „König der Juden“ ans Kreuz geschlagen. Der bekannte Blick durch das Fenster der Kirche richtet sich, steht man genau auf ihrer Mittelachse, auf die Grabes- und Auferstehungskirche mit der Hinrichtungsstätte Golgotha.

Bei Lukas erscheint es so als ginge Jesus nach der kleinen Szene am Ölberg schnurstracks in den Tempel: „Dann ging er in den Tempel und begann, die Händler auszutreiben.“ (Lk 19,45) Gegenüber, auf der anderen Seite des Kidrontals, in der mächtige Ostmauer der ehemaligen Tempelterrasse, sieht man ein verschlossenes Tor: das „Goldene Tor“. In der späteren christlichen Erinnerungslandschaft verband man den Einzug Jesu in die Stadt mit diesem Tor. Solange Christen die Stadt regierten und es noch nicht zugemauert war öffnete man es (außer am Fest der Kreuzerhöhung) jedes Jahr nur am Palmsonntag. Und – im Einklang mit den im Kidrontal bzw. im Tal Joschafat angesiedelten endzeitlichen Vorstellungen – erwartet(e) man auch den zweiten Einzug Jesu am Ende der Zeit durch dieses Tor.

Alle Erzählungen der Passionsereignisse in den Evangelien beginnen mit dem Bericht von Jesu Einzug in Jerusalem und wie jedem Anfang einer Geschichte kommt auch diesem Auftakt große Bedeutung zu, um das Folgende richtig zu verstehen. Der älteste Bericht im 11. Kapitel des Markus-Evangeliums schildert ihn so:

1Als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage und Betanien am Ölberg, schickte er zwei seiner Jünger voraus. 2Er sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt; gleich wenn ihr hineinkommt, werdet ihr einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet ihn los, und bringt ihn her! 3Und wenn jemand zu euch sagt: Was tut ihr da?, dann antwortet: Der Herr braucht ihn; er lässt ihn bald wieder zurückbringen. 4Da machten sie sich auf den Weg und fanden außen an einer Tür an der Straße einen jungen Esel angebunden und sie banden ihn los. 5Einige, die dabeistanden, sagten zu ihnen: Wie kommt ihr dazu, den Esel loszubinden? 6Sie gaben ihnen zur Antwort, was Jesus gesagt hatte, und man ließ sie gewähren.
7Sie brachten den jungen Esel zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Tier und er setzte sich darauf. 8Und viele breiteten ihre Kleider auf der Straße aus; andere rissen auf den Feldern Zweige (von den Büschen) ab und streuten sie auf den Weg. 9Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! 10Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe! (Par: Mt 21,1-9//Lk 19,28-40; Joh 12,12-19)

Jesus, der den Weg von Galiläa nach Jerusalem zum Pesach-Fest vermutlich zu Fuß gegangen ist, sendet zwei Jünger aus, um einen Esel zu holen, auf dem er in die Stadt reiten kann und der gleich danach zurückgegeben werden soll. Am Abend verlässt Jesus mit seinen Jüngern die Stadt wieder zu Fuß. Dieser feierliche Einzug Jesu in Jerusalem ist offenbar ein symbolischer Akt, den die V. 8-10 beschreiben: Man schwenkt Zweige und legt sie zusammen mit Kleidern Jesus unter die Füße, der auf dem Esel in die Stadt einreitet. Freudig und begeistert erschallt der Ruf:

„Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!
Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt.
Hosanna in der Höhe!“

Es ist offenbar der Einzug eines Königs: Das „Reich unseres Vaters David“ kommt. Die jüngeren Evangelien machen das noch klarer. Matthäus nennt Jesus ausdrücklich „Sohn Davids“, Lukas und Johannes sprechen vom „König“ (Lk 19,38) bzw. vom „König Israels“ (Joh 12,13). So heißt es im Johannes-Evangelium, in dem aus den Zweigen Palmzweige werden, um den Einzug Jesu noch mehr als Einholung eines Königs zu gestalten:

Da nahmen sie Palmzweige, zogen hinaus, um ihn zu empfangen und riefen:
Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, der König Israels!

Und es ist nicht irgendein König, sondern ein ganz besonderer, mit dem große Erwartungen verbunden sind. Der Psalm, der ursprünglich auf jeden Pilger bezogen war, wird schon im frühen Judentum messianisch gedeutet. Der hier einzieht ist kein anderer als der von vielen erwartete messianische König. Und das wird nicht nur im Hosannaruf formuliert, die ganze Darstellung ist bedeutungsvoll und sprechend. Zwei Stellen der Heiligen Schrift erschließen die theologische Bedeutung des geschilderten Vorgangs. Das hat vor allem mit dem Esel zu tun.

Der Esel ist im Alten Israel ein respektables Reittier. Abraham ist mit einem Esel unterwegs als er sich auf den Weg macht, um seinen Sohn Isaak zu opfern (Gen 22), die Söhne Jakobs ziehen mit ihren Eseln nach Ägypten, um von Josef Getreide zu kaufen (Gen 42,26 u.ö.), Moses Reittier ist ein Esel (Ex 4,20), wie auch der Seher Bileam auf einem reitet (Num 22), zur Zeit Davids sind Esel die Reittiere der Königsfamilie (2 Sam 16,2). Die längste Zeit ist der Esel neben dem Rind das wichtigste Last-, Reit- und Arbeitstier in Israel. In unserer Erzählung wird durch den Esel aber auf zwei Texte des Alten Testaments Bezug genommen. Der erste ist Gen 49,10-11. Die beiden Verse stehen im Segen Jakobs über Juda:

10Nie weicht das Zepter von Juda,
der Führerstab von seinen Füßen,
bis sein Herrscher kommt
und ihm gebührt der Gehorsam der Völker.
11Er bindet an den Weinstock seinen Esel,
an die Rebe das Füllen seiner Eselin.

Die Anspielung in der Erzählung von Jesu Einzug in Jerusalem richtet sich ganz konkret auf den angebundenen Esel: In der Genesis-Stelle bindet Juda seinen Esel an, in Mk 11 schickt Jesus die Jünger zu einem angebundenen Esel. Dass er davon weiß, ruft den Gedanken hervor, Jesus sei – wie Juda in der Genesis-Stelle – der Besitzer des Esels, der deshalb weiß, wo er angebunden zu finden ist. Jesus wird so mit Juda in Verbindung gebracht. Und was sagt die Genesis-Stelle über diesen Sohn Jakobs aus? Sie spricht über die Herrschaft Judas, redet vom ewigen Zepter und vom Herrscherstab – bis schließlich der Herrscher Judas kommt, dem der Gehorsam der Völker gebührt. Gen 49 hat eine königliche Gestalt mit eschatologischer Bedeutung im Blick. Der angebundene Esel gehört dem und dient dem, der schließlich kommen und die Königsherrschaft Judas vollenden wird.

V. 11 ist übrigens ein sogenannter Parallelismus membrorum, ein wichtiges Stilmittel der althebräischen Poesie, bei dem durch zwei sehr ähnliche, einander entsprechende Aussagen eine Sache zum Ausdruck gebracht wird. Der Vers spricht also nicht von zwei Eseln, einem Muttertier und seinem Jungen, sondern von einem jungen Esel. Erst Matthäus, vielleicht um die Übereinstimmung mit der Schrift noch zu betonen, macht zwei daraus – mit erheblichen Folgen für die Darstellung der Szene in der europäischen Kunst!

Von dieser Genesis-Stelle gibt es eine Verbindung innerhalb des Alten Testaments zum Prophetenbuch Sacharja. Auch in Sach 9,9-10 spielt – in sehr ähnlicher Formulierung – ein Eselshengst, das Füllen einer Eselin, eine Rolle, ebenfalls in einem königlichen und endzeitlichen Kontext:

9Juble laut, Tochter Zion!
Jauchze, Tochter Jerusalem!
Sieh, dein König kommt zu dir.
Er ist gerecht und hilft;
er ist demütig und reitet auf einem Esel,
auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin.
10Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim
und die Rosse aus Jerusalem,
vernichtet wird der Kriegsbogen.
Er verkündet für die Völker den Frieden;
seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer
und vom Eufrat bis an die Enden der Erde.

In der Sacharja-Stelle – Matthäus zitiert sie – ist der Esel nicht in erster Linie ein Reittier, sondern er steht im Kontrast zu den Streitwagen und Rossen, den machtvollen Symbolen des Krieges und der militärischen Stärke, die Gott aus Jerusalem vertreiben wird. Der endzeitliche König kommt nicht auf einem von Pferden gezogenen Streitwagen, der alles niederwalzt, sondern er ist arm bzw. demütig, indem er auf einem Esel reitet. Ganz anders treten die Könige der Antike mit all ihrer Prachtentfaltung auf. Die Ankunft des Herrschers in hellenistisch/römischer Zeit wurde aufs prächtigste inszeniert, als Epiphanie einer Gottheit. Aber die ganz andere Art des Königtums Jesu ändert nichts daran: Er ist König und Jerusalem wird über ihn zum Jubel aufgerufen – und zwar, das zeigt die Sacharja-Stelle, gerade als der, der demütig auf einem Esel in Zion einreitet.

Diese Schriftbezüge, die den Einzug Jesu in Jerusalem prägen, lassen ihn, der als einfacher und armer Pilger nach Jerusalem kommt, als den endzeitlichen davidischen König erkennen! Was wurde von einem König in Israel bzw. überhaupt im Alten Orient erwartet? Vor allem zwei Dinge: Frieden und Gerechtigkeit, verbunden mit der Hoffnung auf ein sicheres, behütetes Leben in Frieden und Wohlstand für alle, Wünsche, die wir ohne weiteres verstehen und nachvollziehen können. Und sie behalten auch für die eschatologische Messiasvorstellung eine konstitutive Bedeutung. In einem der messianischen Hoffnungstexte der jüdischen Bibel, unserem Alten Testament, kommt das zum Ausdruck:

1 Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor,
ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.
2 Der Geist des HERRN ruht auf ihm:
der Geist der Weisheit und der Einsicht,
der Geist des Rates und der Stärke,
der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.
3 Und er hat sein Wohlgefallen an der Furcht des HERRN.
Er richtet nicht nach dem Augenschein
und nach dem Hörensagen entscheidet er nicht,
4 sondern er richtet die Geringen in Gerechtigkeit
und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist.
Er schlägt das Land
mit dem Stock seines Mundes
und tötet den Frevler
mit dem Hauch seiner Lippen.
5 Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften
und die Treue der Gürtel um seine Lenden.
6 Der Wolf findet Schutz beim Lamm,
der Panther liegt beim Böcklein.
Kalb und Löwe weiden zusammen,
ein kleiner Junge leitet sie.
7 Kuh und Bärin nähren sich zusammen,
ihre Jungen liegen beieinander.
Der Löwe frisst Stroh wie das Rind.
8 Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter
und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus.
9 Man tut nichts Böses
und begeht kein Verbrechen
auf meinem ganzen heiligen Berg;
denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des HERRN,
so wie die Wasser das Meer bedecken.

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